In einer Zeit, in der die Worte ihre Bedeutung zu verlieren scheinen und die Sprache der Macht versucht, in all unsere Gespräche einzudringen, halten wir es für umso unentbehrlicher, uns zu bemühen, klare Sprache zu sprechen. Hören wir damit auf, wie Papageie nachzuplappern, was die Zeitungen uns erzählen, was die Fernseher uns zeigen, was die Mächtigen uns weismachen wollen. Es geht nicht darum, um jeden Preis einer Meinung sein, noch irgendwen bekehren zu wollen, sondern darum, wenigstens mit unserem Mund, mit unseren Worten, mit unseren Schmerzen und unseren Hoffnungen zu sprechen.
Krieg oder… Revolution
Der Beginn der Bombenangriffe der NATO gegen die zu Gadaffi haltenden Kräfte in Libyen hat einen fatalen Schritt markiert. Was zu Beginn ohne Zweifel ein bewaffneter Aufstand eines bedeutenden Teils der Bevölkerung gegen das herrschende Regime war, verwandelt sich immer mehr in einen militärischen Krieg. Abgesehen von den selbstorganisierten Widerstandsgruppen, jene, die von den Autoritäten aller Seiten als “irregulär” bezeichnet werden, scheint die Erhebung in Libyen zu einem Konflikt zwischen entgegengesetzten Armeen degeneriert zu sein. Und es ist folglich kein Zufall, dass diese “Irregulären“ gegenüber der “offiziellen Opposition”, welche Hierarchien, Ränge und Kommandostrukturen der Armee von Gadaffis kopierte, stets sehr misstrauisch waren. Tatsächlich hat die Militarisierung des Konfliktes die Möglichkeit einer radikalen Umwälzung der libyschen Gesellschaft begraben. Neue Uniformen, neue Führer und neue Autoritäten stellen sich jenen in den Weg, die andere soziale Beziehungen ausprobieren wollen, Beziehungen der Solidarität und Gegenseitigkeit, der Selbstorganisierung des sozialen Lebens zwischen den Menschen selbst, anstatt eines neuen Regimes, neuer staatlicher Strukturen, neuer Führer und neuer Privilegien.
In der heutigen Situation in Libyen geht es darum, die Aufständischen nach allen Möglichkeiten zu unterstützen, die für eine tiefgehende Veränderung der Gesellschaft gekämpft haben und die in Zukunft wieder dafür kämpfen werden. Wie ein anarchistischer Gefährte aus Libyen sagte, geht es jetzt darum, die Erpressung der Macht zurückzuweisen – egal, ob sie von Gadaffi, der offiziellen Opposition oder der NATO ausgeht –, die die Möglichkeit einer sozialen Revolution begraben wollen, indem sie in Richtung eines rein militärischen Krieges drängen. Lasst uns jene nie vergessen, die fielen, während sie für die Freiheit kämpften, jene, die ein monströses Regime herausforderten, während sie nur auf ihre eigenen Kräfte zählten und ihr Leben aufs Spiel setzten.
Katastrophe oder… Revolution
Was in Japan geschah, ist keine Naturkatastrophe, sondern eine soziale Katastrophe. Was in den japanischen Kernkraftwerken geschah, ist kein unglücklicher Zwischenfall, sondern die traurige Konsequenz einer Welt voller Industrien, die ihr Gift ausstossen, überall verteilter Kernkraftwerke, die eine schwere und unheilvolle Hypothek auf das Leben und die Freiheit auf der Erde gelegt haben, Wirtschaft, die den Planeten und den menschlichen Geist vergiftet, während sie nur der Suche nach immer mehr Profit für die Reichen und Mächtigen gehorcht.
In Japan sind zur Zeit ganze Regionen umstellt und militarisiert. Nachdem Kernkraftwerke gebaut wurden, nachdem die Interessen der kapitalistischen Wirtschaft allem voran gestellt wurden, präsentiert sich der japanische Staat nun als der einzige Akteur, der imstande ist, die Situation zu retten, die Katastrophe zu verwalten und den „Leuten zu helfen“. Während in den verwüsteten Gebieten der Insel ein militärisches Regime errichtet wird, während ein wissenschaftliches Kontrollregime eingeführt wird, das die Bewohner rund um die von der Strahlung verseuchten Gebiete zu blossen Nummern, zu Radioaktivitätsquoten oder sogar zu Versuchskaninchen macht, verstärkt der Staat seinen Griff auf die Bevölkerung. Und von der sehr realen nuklearen Bedrohung verängstigt, eilt die Bevölkerung in die Arme ihres Retters…
Aber die Ursache eines Problems kann nicht zur selben Zeit dessen Lösung sein; wenn die Ursache weiterhin besteht, verstärkt sich das Problem. Und das Problem sind nicht so sehr die Naturkatastrophen, sondern diese Welt der Industrien und Kernkraftwerke, der unbewohnbaren Metropolen und der verwüsteten Landstriche. Es gilt, entweder die permanente Katastrophe in dieser Welt weiterhin hinzunehmen, oder den Weg radikal zu ändern, die Wirtschaft und ihr König, das Geld, von ihrem Thron zu stürzen, den Wissenschaftlern nicht mehr zu glauben, nicht mehr auf die Experten zu zählen, um Lösungen für Probleme zu finden, die sie selbst erschaffen haben, und neue Wege des Zusammenlebens zu erfinden. Entweder die Katastrophe dieser Welt voller Grauen, oder die soziale Revolution.
Demokratie oder… Revolution
Nach den Siegesschreien aus Ägypten und Tunesien, Schreie, die von den Medien hier einstimmig in eine Hommage des Volkes an die westliche Demokratie verwandelt wurden, beginnt eine neue Ordnung Oberhand zu nehmen. Die Ägyptischen Soldaten schiessen erneut auf revoltierende Massen, Tunesische Gefängnisse füllen sich mit Aufständischen, die für etwas anderes kämpften, als einen schlichten Regimewechsel, die verschiedenen politischen und religiösen Betrügereien tun alles, um zu versuchen, die Wut zu rekuperieren und in Richtung widerlicher Nationalismen und unterdrückender Religionen zu kanalisieren. Aber die Kämpfe gehen trotz der wachsenden Repression weiter. Während in Ägypten die wilden Streiks gegen die alten und neuen Bosse weitergehen, entziehen sich in Tunesien auch heute noch ganze Regionen den Klauen des neuen Staates, indem sie sich selbstorganisieren, um die materiellen Bedürfnisse zu befriedigen, indem sie Gegenseitigkeit und Solidarität in Praxis umsetzen, anstatt des kapitalistischen Konkurrenzkampfes, indem sie Polizisten, politische Chefs und Richter aus den Dörfern vertreiben, die sie als Ausdruck der Erstickung der Freiheit erkannten.
Alles wird in Gang gesetzt, um vergessen zu lassen, dass es andere Möglichkeiten gibt, als die Wahl zwischen Diktatur und Demokratie. Dass es möglich ist, mit Formen des Zusammenlebens zu experimentieren, die nicht von einem Staat geleitet werden, ob dieser nun gewählt oder aufgezwungen ist. Dass andere Möglichkeiten zur Wahl stehen, als eine brutale Ausbeutung über sich ergehen zu lassen, wie im grössten Teil der Welt, oder, einen sozialen Frieden zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutern zu respektieren, indem man sich mit den Krümmeln zufriedengibt, wie das hier oft der Fall ist.
Alles wird in Gang gesetzt, um zu vergessen zu machen, was die Mächtigen von überall, seien sie demokratisch oder diktatorisch, bösartig oder nett, brutal oder menschlich, am meisten fürchten: eine soziale Revolution, die den Ursachen der Ausbeutung und der Unterdrückung ein Ende setzt.
Gefängnis oder… Revolution
Für jene, die sich entschlossen haben, sich auf den Weg des Kampfes für die Freiheit, für die wirkliche Freiheit, zu begeben, hat es letztendlich von ihren Feinde immer nur zwei Antworten gegeben: Kugeln oder Gefängnis. Vor kurzem sind einige italienische Anarchisten einmal mehr von der Repression getroffen worden. Fünf Gefährten aus Bologna befinden sich im Gefängnis, überall in Italien wurden etwa sechzig Häuser durchsucht. Unter der Anklage von “krimineller Organisation“ werden sie vom Staat eingesperrt, in der Hoffnung, somit den Kämpfen Einhalt zu gebieten, die sie gegen die Abschiebeknäste für illegale Migranten führen, indem sie die Verantwortlichen der Abschiebemaschinerie angreifen; ihren Kämpfen, die sie in Solidarität mit den Aufständischen von der anderen Seite des Mittelmeers führten, indem sie die italienischen Unternehmen angriffen, die von dem Regime von Gadaffi profitieren, um Gas und Erdöl zu importieren und Waffen zu exportieren, die dazu dienen, die Revoltierenden niederzuschlagen (dieselben Unternehmen sind im Übrigen auch Kandidaten für den Bau von Kernkraftwerken in Italien, was ebenfalls von Widerstand begleitet wird); ihrer unnachgiebigen Entscheidung für die Revolte, indem sie auf alle Strukturen der Herrschaft abzielen.
Wenn wir von ihnen sprechen, dann ist das, weil wir uns in ihren Kämpfen wiedererkennen, weil wir mit ihnen, über die Grenzen hinaus, jenes Verlangen nach Freiheit teilen, das sie dazu verleitete, mit Worten und Taten zu kämpfen. Kein Gefängnis wird jemals unseren Kampf für die Freiheit aufhalten und unsere Solidarität mit den italienischen Gefährten, sowie mit den eingesperrten Gefährten in anderen Ländern der Welt, besteht darin, weiterhin, immer weiter, mit der Hoffnung im Herzen und geballten Fäusten, die Herrschaft zu untergraben.
Lasst uns das Pulverfass entzünden.
Auf dass der Wind der Freiheit weht, auf dass sich der Sturm des Aufstands entfesselt.
Anarchisten
[http://unruhen.wordpress.com/, publiziert in Ausgabe nr. 17 von Hors Service]