zondag 1 mei 2011

Im Krieg wie im Krieg

Die Demokraten schicken ihre Artillerie

Am 20. März 2011 fallen die ersten Raketen und Bomben der internationalen Allianz auf Lybien. Die zivilen Verletzten werden ins Spital gebracht, es gibt Tote. Der Kriegsminister De Crem benachrichtigt uns im Fernsehen, dass es zu nicht sehr schönen Bildern kam, es wär ihm lieber, wenn wir nicht hinschauen würden.
Sie brauchten etwas Zeit, die westlichen Mächte, doch darin sind sie sich nun alle einig. Der Diktator Kadhafi ist der Feind, es gilt ihn mit Bomben zu vertreiben. Noch vor einigen Monaten waren sie seine besten Freunde, ebenso wie die der anderen Diktatoren des Maghrebs. Sie liessen sich auf ihre Kosten ihre Luxusferien in den exotischen Ferienorten bezahlen, mit Stars zu ihrer Unterhaltung, und grosse Abkommen wurden geschlossen. Und eben da klemmt’s jetzt.
Sagen wir es gerade heraus: Kadhafi ist ihnen nicht mehr von Nutzen. Entweder wird er von den Aufständischen von seiner Machtposition geworfen (was momentan wenig wahrscheinlich ist), oder er gewinnt die Kontrolle wieder zurück, indem er einen Teil der Bevölkerung massakriert, woraufhin es die westlichen Führer schwehrer hätten, ihm weiterhin die Hand zu schütteln. So oder so, die Diktatur ist ihnen nicht mehr nützlich. Der Gipfel der Heuchelei: in Bahreïn beispielsweise werden die Demonstranten von den saudischen Polizisten und Militärs massakriert, dort aber vergessen die selben Führer schnell ihre heroische Rolle als Hüter der Menschenrechte.
In Lybien seien sie alle vereint, um den Aufständischen zur Rettung zu kommen, die das verkörperte Böse bekämpfen? Wer glaubt ihnen noch? Es ist offensichtlich nicht das, wofür sie in den Krieg gezogen sind. Im Übrigen wenden sie auch nicht so viel Aufwand auf, um ihre wirklichen Absichten zu verhüllen. Die Migrationsströme in Richtung Westen zu stoppen, das Öl zu schützen und zu verhindern, dass die muslimischen Terroristen an die Waffen gelangen. Nichts allzu neues unter dem Himmel, doch dieses Mal ohne Kadhafi, es muss neuer Boden bereitet werden.
Die Immigranten präventiv festhalten. Schon seit Jahren versuchen tausende Personen das Mittelmeer zu überqueren, um nach Europa zu gelangen, indem sie die Insel Lampedusa passieren. Zwischen der lybischen Regierung und den europäischen Regierungen sind Abkommen geschlossen worden, um dem ein Ende zu bereiten. Jene, die versuchen fortzugehen, werden von den bewaffneten Kräften und den Seepatrouillen gefoltert (Lybien und Italien Hand in Hand), bevor sie in den drei Lagern (tausend Plätze) dahinvegetieren, die im Norden von Lybien gebaut wurden. Seit Beginn des Aufstands, sowie auch in den umliegenden aufständischen Ländern, haben die Leute ihre Chance ergriffen, um das Land zu verlassen. Nun sind es ebenso sehr die Schüsse der lybischen Macht, wie die Bomben der westlichen Macht, vor denen sie flüchten. In den italienischen Gefängnissen für Ausländer ist seit längerem ein Kampf im Gange. Die Lager brennen, Leuten gelingt es, auszubrechen.
Das Öl in die eigene Tasche stecken. Der Westen würde gerne weiterhin die Öl- und Gasreserven in Lybien plündern, sowie er schon immer die Böden von Anderen geplündert hat, ob dies nun erforderte, zu kolonisieren oder Handelsabkommen zu schliessen.
Verhindern, dass die bösen Muslime zu den Waffen greifen. Wiedermal ein alter Hut. Waffen, die übrigens die westlichen Mächte an Kadhafi geliefert haben und von denen ein Teil aus der kleinen belgischen Stadt Herstal kam [Teile kamen auch von Schweizer Waffenproduzenten – Anm. d. Ü.]. Die Kohle riecht gut, egal was und wen man damit unterstützt. Selbstverständlich sind wir gegen die Leute, die damit andere massakrieren, auch wenn dies im Namen von Gott, des Kapitals oder der Demokratie geschieht. Nur, wer sind diese Terroristen? Für Kadhafi sind alle Aufständischen Mitglieder der Al Qaïda. Für den Westen sind all jene, die gegen sie die Waffen ergreifen, ebenfalls Terroristen. Für sie ist es ganz einfach, alle sind Terroristen, die es im Namen des globalen Friedens zu beseitigen gilt.
Mit diesem Weg, der eingeschlagen wird, wird die Revolution aus den Händen der Lybier gestohlen. Jetzt, wo die Düsenjäger im Tiefflug über die Dörfer und Städte fliegen, verwandelt sich der Widerstand in eine reguläre Landesarmee. Die shabaab (Jugendliche) müssen eingegliedert und diszipliniert werden. Und sie müssen den Offizieren gehorchen, die noch vor kaum einer Woche die Befehle von Kadhafi ausführten. So ähnelt die Volkserhebung eher einer Eroberungsarmee. Die westlichen Alliierten wünschen sich nichts sehnlicher, als dass eine Armee und eine Regierung die Revolution “führen“. Sie wollen so schnell wie möglich ein stabiles Regime an der Macht, um den normalen Lauf der Dinge wieder einzurichten. Ein Szenarion wie in Ägypten oder Tunesien, wo die Konfrontationen noch immer andauern, wollen sie um jeden Preis verhindern. Denn auch in Lybien werden viele Leute mit den alten Führern im neuen Kleid nicht zufrieden sein, ebensowenig wie mit den neuen Führern in alten Uniformen. Doch wer wird noch gegen die neue Armee rebellieren, die sie „befreit“ hat? Und gegen die Bosse der NATO, die selbstverständlich nicht gratis arbeiten.
Krieg ist Frieden, ein Betrug so alt wie die Welt. Eine Sache ist sicher: die lybischen Aufständischen brauchen internationalistische Solidarität, wenn sie nicht von der Macht niedergefochten werden wollen. Entweder von der unerbittlichen Repression, oder von der sanften Hand der Demokratie.

[Veröffentlicht in Hors Service 16, 3. April 2011]


An die waisen des existierenden